21.06.2023
Preußischer Meilenstein von 1855 kehrt heim an historischen Standort
An der B 477 zwischen Bergheim und Niederaußem stand bis in
die fünfziger Jahre ein Meilenstein aus der Zeit,
als die Rheinlande zu Preußen gehörten und
die Straße eine „Provinzialstraße“ war.
Nach genauer preußischer Bezeichnung war es die
„Neuss-Lechenicher Bezirksstraße, erbaut 1855“
- so steht es auf dem Stein zu lesen.
Die Inschrift im Kopf des Steins bezeugt,
dass die Straße sich im
Kreis Bergheim im Regierungsbezirk Cöln
befindet. In dem Medaillon unten
steht die Entfernungsangabe 1 Meile 100
(Bild 1 mit grafisch sichtbar gemachter Inschrift).
1 preußische Meile = 7,532 km.
Der Stein stand in Richtung Niederaußem gesehen
auf der rechten Straßenseite im Bereich einer sich
dahinter erstreckenden Kiesgrube (Bild 2).
Nach dem Erwerb der Rheinlande als preußische Provinz 1815
wurden viele Entwicklungen in Gang gesetzt, um
„Handel und Wandel“ zu befördern.
Unter anderem betraf dies auch eine Intensivierung des
Straßenbaus oder -ausbaus. Als große Achsen aus
Köln ins weitere Umland gab es u.a. die aus der Römerzeit
entstandenen Staatsstraßen Köln-Trier
(heutige B 265, Luxemburger Straße) und die heutige B 59,
die Venloer Straße.
Als Querverbindung dazwischen planten
die Preußen Bezirksstraßen, für deren Unterhaltung der jeweilige
Regierungsbezirk zuständig war. Eine dieser Straßen war die
„Neuss-Lechenicher Bezirksstraße“ mit den Knotenpunkten
Lechenich (Köln-Trier), Kerpen (Köln-Düren),
Bergheim (Köln-Lüttich) und Rommerskirchen (Köln-Venlo).
Eine Weiterführung von Rommerskirchen bis Neuss blieb zwar im offiziellen Namen der
Straße erhalten, hatte aber in der politischen Realität keine große Bedeutung, vielleicht, weil schon
damals der Regierungsbezirk Düsseldorf anders tickte als der Kölner Nachbar…?
Jedenfalls blieb die Neuss-Lechenicher Bezirksstraße (ziemlich offiziell) begrenzt auf
die Endpunkte Lechenich und eben Rommerskirchen.
Und die Entfernung von Rommerskirchen bis zum historischen Standort unseres Meilensteins nahe
der Gemarkungsgrenze zwischen Bergheim und Niederaußem beträgt auch heute noch ziemlich
genau 7,5 Kilometer. Das lang umrätselte „Geheimnis“ um die Angabe „1 Meile 100“ findet damit
seine Erklärung. „Unser“ Stein war der erste auf der Gesamtstrecke von ca. 30 km bis Lechenich,
auf der insgesamt 4 Steine standen. Davon sind heute noch zwei weitere zu sehen,
wenn auch mit deutlich schlechter oder gar nicht mehr lesbarer Inschrift.
Der nächste steht zwischen Widdendorf und Heppendorf, der dritte stand am
Forsthaus Kerpen und ist im Zuge von neueren Straßenbaumaßnahmen verschwunden;
der vierte ist zwischen Gymnich und Dirmerzheim zu sehen.
Die „100“ weist darauf hin, dass zwischen den großen Meilensteinen (also jeweils 7,5 km) durchnummerierte
kleine „Stationssteine“ standen, immer im Abstand von 75 Metern (=20 preußische Ruten). Unser Meilenstein
war also nicht nur das große Kennzeichen der I. Meile, sondern gleichzeitig der 100. Stationsstein.
Rund 200 m vor dem Meilenstein aus
Richtung Bergheim in der Nähe der
Gemarkungsgrenze zwischen
Niederaußem und Bergheim stand
ein Wegekreuz auf einem aus
Gesteinsbrocken gefertigten Hügel
(Bild 3). Den Erzählungen nach war
dies ein Haltepunkt ausrückender oder
heimkehrender Soldaten für
ein letztes Stoß- oder erstes Dankgebet.
Der Kreuzeshügel hieß im Volksmund
„Rette Deine Seele“.
Beide Geländepunkte mussten - wie
die B 477 / ehemalige Provinzialstraße -
dem Tagebau Fortuna-Garsdorf weichen, über dem sich heute die „Wiedenfelder Höhe“ erhebt.
Die B 477 wurde zunächst in Richtung Südosten, später wieder in eine ähnliche Position wie ursprünglich
zurückverlegt. Das Wegekreuz „Rette Deine Seele“ verschwand, der Meilenstein wurde an den Ortsausgang
Niederaußem in Richtung Rheidt, links neben der B 477 umgesetzt.
Dem Tagebau Fortuna Garsdorf folgte einige Jahre später
der Tagebau Bergheim, der sich südöstlich an den
mittlerweile rekultivierten Tagebau Fortuna Garsdorf anschloss.
Im Zuge dessen Rekultivierung wurde ein Erinnerungs-
stätten-Konzept zwischen RWE und der Stadt Bergheim
vereinbart. Ein Element dabei war die Errichtung eines
modernen Bildstocks „Rette Deine Seele“ an der
Einmündung des Mariensteigs in den Pilgerweg.
Dieser Bildstock wurde am 8. September 2012
(Gedenktag Mariä Geburt) feierlich eingeweiht. Der Name
„Pilgerweg“ erinnert daran, dass es verschiedene Pilgertraditionen
gab, die nach Bergheim zum Bild der schmerzhaften Muttergottes in
St. Remigius führten, ein verehrtes Gnadenbild, das bis 1802
(Napoleon) im Kloster Bethlehem zuhause war. Noch heute macht
sich alljährlich im Mai eine große Pilgergruppe aus Leverkusen-
Wiesdorf auf einen ganztätigen Fußmarsch nach Bergheim auf und
kehrt am folgenden Tag wiederum per pedes nach Hause zurück.
Ein Modell einer früheren Lavagrotte mit Madonnenfigur an der Mauer des ebenfalls untergegangenen
Klosters Bethlehem wurde in die Apsis des Bildstocks integriert. Erst im Sommer 2018 kam im Heimatverein
durch Zufall die Idee auf, auch den „ins Exil geschickten“ Meilenstein wieder in die Nähe seines
ursprünglichen Standortes zurück zu versetzen.
Pate stand bei dieser Überlegung weniger der historisch genaue Standort als vielmehr der Wunsch,
dieses historische Monument wieder stärker den Menschen ins Blickfeld zu rücken, die zu Fuß oder
per Fahrrad zwischen Bergheim und Niederaußem unterwegs sind.
In einem außerordentlich glücklich verlaufenen Zusammenspiel von Stadt Bergheim, Denkmalbehörde,
Landesbetrieb Straßenbau, Bezirksregierung und Heimatverein Niederaußem wurde schnell eine
grundsätzliche Einigung über das Rückführungsprojekt vereinbart. Knackpunkt war die Finanzierung,
weil für den Umzug eine Fachfirma herangezogen werden musste, damit das „gute alte Stück“ durch
unsachgemäße Handhabung keinen Schaden nähme.
Hier ergab sich eine Chance durch ein neues Förderprogramm der NRW-Landesregierung,
den „Heimat-Scheck“ des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung in Düsseldorf.
Diese Chance wurde genutzt und erfolgreich eingesetzt. Der fachgerechte Umzug erfolgte um
die Jahreswende. Die Stadtwerke Bergheim übernahmen die begleitenden Erdarbeiten am neuen
wie auch am alten Standtort, eine frühere „Einweihung“ fiel der Corona-Krise zum Opfer.
Jetzt sind Meilenstein und
„Rette Deine Seele“ - Bildstock
an historisch fast genauer Stelle wieder in
vertrauter Nähe als Landmarken für die
vorüberkommenden Menschen vereint -
immer noch rund 1 preußische Meile vom
historischen Bezugspunkt Rommerskirchen
entfernt.
(Wir danken Walter Keil, auf seinen Aufsatz
„Meilensteine – Preußischer Straßenbau...)
im Meilenstein-Journal Nr. 61, 2011, zurückgreifen
zu dürfen).
Fotogalerie:
04.03.2021
Preußischer Meilenstein kehrt heim an historischen Standort
Herausgegeben vom Verein der Heimatfreunde Niederaußem und Auenheim e.V.
Für Sie zum Download.